Artworks: Distar. Installation, Medizinhistorisches Museum der Charité Berlin, 2010

distar_berlin_5.jpgDie Ruine des historischen Rudolf-Virchow-Hörsaales der Charité erinnert äußerlich nur mehr fragmentarisch an seine frühere Bestimmung. Dennoch vermittelt der Raum auf beeindruckende Weise unmittelbar seine Geschichte, aufgeladen durch die hier stattgefundenen Lehrveranstaltungen. Dieser Historie eine Reverenz zu erweisen, sie gleichzeitig in die jüngere Vergangenheit fortwirken zu lassen und den Raum selbst an seine ursprüngliche Bestimmung zu erinnern, widmet sich die Klanginstallation Distar.

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Distar, kurz für Die Stimme des Arztes, ist eine Schallplattenserie, die vom Banaschewski Werk-Verlag zwischen 1959 und 1975 herausgegeben wurde. Diese versammelte in insgesamt 22 Exemplaren die damalige führende Ärzteschaft in einer Serie von Vorträgen, die sich überwiegend mit dem Selbstverständnis der Medizin befassten. Sie geben Einblick in das medizinische Weltbild der damals meinungsführenden Ärzteschaft. Titel wie Die ärztliche Verantwortung in unserer Zeit, Der Kranke und seine Krankheit, Gesundheit und Zivilisation oder Medizinische Wissenschaft, Arzttum und Menschenbild wollen keine unmittelbaren therapeutischen Ratschläge vermitteln, sondern setzen sich authentisch und persönlich mit geistigen Voraussetzungen, gesellschaftlichen Implikationen und theoretischen Grundlagen der Medizin auseinander.

distar_berlin_7.jpgBildete die erste Ausgabe Ende der 1950er Jahre mit Reflektionen von Karl Jaspers über den Hippokratischen Eid den programmatischen Auftakt der Serie, spricht in der letzten Ausgabe von 1975 Hermann Eyer, der zwischen 1939 und 1944 Leiter des Instituts für Fleckfieber- und Virusforschung des Oberkommandos des Heeres war, und mutmaßlich Versuche an Inhaftierten durchführte, zum Thema 'Umwelthygiene'.

Diese Serie bildet eine einzigartige Dokumentation eines bis heute fortwirkenden Moments der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts in Deutschland und darüber hinaus. Deren Kenntnisnahme ist nicht nur von historischem Interesse, sondern bleibt auch für das Verständnis der weiteren Entwicklung der Medizin im Kontext unserer Gesellschaft relevant. Da diese Dokumente sich mit der Vinyl-Schallplatte eines Mediums bedienen, das im wesentlichen der Popkultur zugerechnet wird, gerieten sie nicht ins Visier von Museen, Bibliotheken oder anderen Sammlungen. Es existiert bis heute keine öffentliche Sammlung, die sich explizit den dokumentarischen Aspekten dieses Mediums widmet, den zahlreichen politischen, gesellschaftlichen und eben auch wissenschaftlichen Äußerungen, die auf diesem Weg, und oft genug eben auch, wie im Falle von Distar, nur auf diesem Weg veröffentlicht wurden.

Die Klanginstallation Distar bewegt sich in einem Feld konservatorischer Kunst, die die Zeit still stellt. Sie weist aufgrund ihrer speziellen Medialität eine Bewegung in der Zeit auf, und holt Konserviertes ins Jetzt zurück. Als Kunstwerk überbrückt Distar die Kluft zwischen Tod und Leben. Und ermöglicht, die Spuren der Vergangenheit neu zu lesen. So ist diese Klanginstallation nicht nur Dokument, sondern auch Entwurf. Zugleich macht die Installation über die Ausstellung der Plattenhüllen und über die in Hörstationen einzeln anwählbaren Vorträge, die Sammlung des Temporary Soundmuseum zugänglich.

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Die Klanginstallation Distar ist eine Collage aus verschiedenen Zitaten der Vortragsreihe. Ergänzend werden die von klarer grafischer Gestaltung geprägten Schallplattenhüllen ausgestellt, in Hörstationen (auf der Galerie) können die verschiedenen Vorträge gezielt und in Ruhe angehört werden.

go to the Temporary Soundmuseum Distar-Collection
Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité website
Distar oder Phobophobia Hörspiel, Bayerischer Rundfunk, Hörspiel und Medienkunst
artmix.gespräch zu Distar mit Kalle Laar, (zum Hören oder Download) Bayerischer Rundfunk