Exotica - Die Suche nach der Idylle, der Insel, dem Ort der Träume.

Hinter dem Horizont der untergehenden Sonne, wo man sich der Natur wieder näher fühlen darf, und der Wilde in der Vorstellung immer edel ist. Alles leicht bedrohlich, mysteriös, aber das Primitive bleibt doch zusammen mit der Erotik auf sicherer Distanz, gerade so, daß es ein wenig prickelt ...

1948 schrieb James A. Michener sein Buch Tales of the South Pacific, dessen großer Erfolg Rogers und Hammerstein veranlasste, ein nicht minder erfolgreiches Musical daraus zu machen, das schließlich 1958 auch als Film zum Kassenschlager wurde. Der im 2.Weltkrieg schwer umkämpfte südpazifische Raum um Polynesien, bis dahin vor allem als Ort von Seeschlachten und Blutvergießen im Bewußtsein der Amerikaner, wurde umgedeutet zum Prototyp der Idylle, bald abgelöst durch Hawaii, als einer Art domestizierten Version der Ferne (bei uns in Deutschland erfüllte seit dem 19.Jahrhundert Tahiti diese Funktion).

Traditionell ergänzt wurde dieses Bild durch lateinamerikanische Einsprengsel, und nicht erst seit Bizet's Carmen galt auch alles Spanische als etwas anders. Exotica wurde zum musikalischen Ausdruck des Fernwehs und all der anderen Sehnsüchte nach dem Fremden. Populäre und folkloristische Versatzstücke aus aller Welt, merkwürdige Klänge und Rhythmen, ungewöhnliche orchestrale Klangfarben: das waren die Ingredienzien dieser Mixtur, die sich ihrer Künstlichkeit durchaus bewußt war, und in den interessantesten Momenten damit spielen konnte. Um Authentizität ging es nicht:

Exotica ist in gewisser Weise die ehrlichste Musik, weil sie so selbstbewußt fake ist." (Stuart Sweezy, Exotica - Häfen der Lustbarkeit)

 

Martin Denny
geboren 5.4.1911 in New York, aufgewachsen in Los Angeles, tourt als Pianist mehrere Jahre durch Südamerika mit dem Don Dean Orchestra, spielt in diversen anderen Orchestern (z.B. Gigi Gryce), begleitet Künstler wie Betty Hutton, während des 2.Weltkriegs bei der US Air Force, tourt durch Deutschland und Frankreich. Nach dem Krieg Besuch des Konservatoriums von Los Angeles (Klavier, Komposition), lebt seit 1954 in Hawaii. Gründet 1955 seine Band, wird beim Liberty - Label unter Vertrag genommen, veröffentlicht insgesamt 37 Schallplatten, die jüngsten Aufnahmen wurden 1990 in Japan veröffentlicht.

Der spezielle Martin Denny-Sound entstand durch die besondere Mischung aus Klavier, Vibra- bzw. Marimbaphon, akustischem Bass und einem Sammelsurium von Perkussionsinstrumenten aus aller Welt. Jedes Mitglied seiner Band beherrschte mehrere Instrumente, und Denny verstand es, in seiner Musik aus der perfekten Mischung eingängiger Melodien, lateinamerikanisch angehauchter Rhythmen und exotisch wirkender Klänge eine eigene und stets wiedererkennbare Hybridform herzustellen.

Sein später viel imitiertes Markenzeichen waren jedoch die in die Arrangements einbezogenen Tierlaute, die der Musik einen fast surrealen Aspekt verleihen: Es begann ziemlich zufällig. 1956 spielten wir in der Shell Bar, die Teil des Hawaiian Village war (einer Art open-air Vergnügungspark in Honolulu). Der Raum, in dem wir spielten, hatte ein sehr exotisches Ambiente, gleich neben der Bühne gab es einen kleinen Teich, Felsen, Palmen, sehr tropisch, sehr relaxed. Eines Abends spielten wir eine bestimmte Nummer, und die Frösche fingen an zu tönen (mit tiefer Stimme): rivet! rivet! rivet! Als wir aufhörten zu spielen, verstummten die Frösche ebenfalls ... Als wir diese Nummer später wiederholten, fingen auch die Frösche wieder an, und einige der Bandmitglieder fingen spontan damit an, Vogelstimmen zu imitieren.

Später wurde dieses 'Arrangement' immer wieder verlangt, am nächsten Abend mußten sie es ständig wiederholen, und schließlich wurde dieser Titel auch zu seinem größten Erfolg, der ihn zumindest in den USA bekannt machte, Quiet Village, der Exotica-Hymne schlechthin.
Wir spielten im Don the Beachcomber's am Strand von Waikiki, und viele auf Hawaii stationierte Soldaten hörten uns und kauften unsere Schallplatten. Und als sie weiterverlegt wurden, nahmen sie diese Platten mit, und spielten sie wieder anderen vor. So wurde unser Name durch Mundpropaganda bekannt: the exotic sounds of Martin Denny ... Die S.S.Nautilus war das erste amerikanische Unterseeboot, das den Nordpol unterquerte. Sie hatten Quiet Village in ihrer Jukebox, und nach ihrer Expedition schrieben sie mir, daß dies ihre Lieblingsnummer war ...

Bis vor wenigen Jahren war Martin Denny noch musikalisch aktiv, inzwischen widmet er sich nur noch seinen Hobbys: Golf und seiner Sammlung exotischer Musikinstrumente.

Les Baxter

Vor allem der Erfolg von Quiet Village ermöglichte es Martin Denny, exotica populär zu machen. Komponiert hat dieses Stück allerdings ein anderer, Les Baxter.

Quiet Village war bereits einige Jahre früher auf Baxter's Ritual of the Savage zu hören gewesen, ein exotica-Klassiker, als dieser Begriff noch gar nicht existierte. Les Baxter war ein gefragter Arrangeur, z.B. für Nat King Cole, und sein besonderes Gespür für die Kombination ausgefallener Klangfarben gaben seinen Kompositionen einen ganz eigenen Charakter. Er komponierte viel für Filme, B-Pictures wie Roger Corman's Cry of the Banshee oder den Kult-Bike-Klassiker Hells Bells auch solche.

The Sacred Idol ist eines seiner interessantesten Alben und die Musik zu einem imaginären Film, hier wie bei anderen LPs verknüpfte er die Titel zu ganzen Konzeptalben, die eine durchgehende Geschichte erzählten. Daneben verhalf er schon 1950 einem anderen exotica-Star zu einem erfolgreichen Start, Yma Sumac.


Yma Sumac

Viele Legenden rankten sich um die Sängerin Yma Sumac. In den 50ern wurde sie als Inka Prinzessin promotet, in den 60ern wollte man sie zu einer amerikanische Hausfrau namens Amy Camus machen, allgemein blieb ihre Identität publicityträchtig mysteriös.

Yma Sumac wurde in den 20er Jahren in Peru geboren als Zoila Augusta Emperatriz Chivarra del Castillo, ihr Künstlername lehnt sich an den ihrer Mutter an. In den 40ern heiratete sie Moises Vivanco, der später für viele Arrangements und Kompositionen auf ihren Platten verantwortlich zeichnet. Ihren ersten großen Erfolg verdankt sie allerdings Les Baxter, der ihr erstes Album Voice of the Xtabay produzierte und arrangierte, übrigens die einzige Langspielplatte, die seit ihrem Erscheinen nie aus den Katalogen verschwand und ständig wiederaufgelegt wurde.

Yma Sumac's legendäre Stimme umfaßt fünf Oktaven, und sie beeinflußte unzählige Sängerinnen von Nina Hagen bis Diamanda Galas. Sie konnte ihre Stimme konsequent als Instrument einsetzen und verkörperte perfekt die geheimnisvolle exotica-Göttin. Bis Anfang der 90er gab sie noch vereinzelt Konzerte.


Aus der Serie ‘mein Lieblingssong’ - heute: Stranger in Paradise

Kismet war ein Film, den sein Regisseur Vincente Minelli selbst überhaupt nicht mochte, schließlich mußte Stanley Donan für die letzten zehn Drehtage einspringen. Trotzdem war Kismet 1955 ein Riesenerfolg und bis heute ein Exotica-Klassiker. Der Stoff (König der Bettler will seine Tochter an einen Prinzen verheiraten, in der orientalischen Version wird er selbst zum Kalifen) war schon einige Male zuvor verfilmt worden (unter anderem 1944 mit Marlene Dietrich), basierte auf einem Theaterstück von 1911, und war 1953 ein Renner als komisches Musical am Broadway. Dieses wiederum war das Vorbild für den Film von 1955.

Unter den zahlreichen Hits, die Musical und Film hervorbrachten, war Stranger in Paradise der Größte, eine jener zeitlosen Melodien, die jeder irgendwie kennt, aber leider nicht so rech woher ...

Robert Wright und George Forrest waren als Team verantwortlich für einige Broadway- und Filmmusiken, sowohl als Komponisten als auch als versierte Adaptoren. Der größte Teil der Musik von Kismet ist inspiriert durch Werke des russischen Komponisten Alexander Borodin. Stranger in Paradise ist eine direkte Bearbeitung von Borodins Polovetzer Tänze aus seiner Oper Igor.

Im Soundmuseum gibt es unter anderem das Original gesungen von Ann Blyth und Vic Damone, und mehr als 20 weitere Versionen, z.B. von Perez Prado als Cha-Cha verarbeitet oder als echte Exotica-Hymne von Enoch Light and the Light Brigade (auf Persuasive Percussion vol. 3), der seine Version nicht Stranger in Paradise sondern ehrlicherweise Theme from the Polovetzian Dances nennt.



EXOTISCHE WELTEN

Dass sich Künstler von Dada bis Picasso in der ersten Hälfte unseres Jahrhunderts von Exotica (z.B. als Primitivismus) inspirieren und beeinflussen liessen, ist hinlänglich bekannt. Wie sich der Einfluss von Exotica in anderen Bereichen der Kunst und des Kunstgewerbes vom 19. Jahrhundert bis heute manifestierte, zeigten vor allem zwei Ausstellungen: Exotische Welten - Europäische Phantasien 1987 in Stuttgart und Les magiciens de la terre in Paris.

Dass dieses Thema stets aktuell bleibt, bewiesen 2001 zwei Ausstellungen: Strange Paradises im Museum Casino Luxembourg mit einigen Installationen zu Vorstellungen von merkwürdigen Paradiesen und die Biennale in Lyon 2002 Partages d’Exotismes:

Between 1993 and 2001 the Lyon Biennale has moved from changing the world to exoticism, from revolution to tourism. We accept the latter term with all its implications: obviously there's both a Victor Segalen side and a humorous side, but we're not trying to hide the ClubMed aspect, either. Here exoticism is one issue within a discussion about infinity. What counts for us, at the risk of seeming precious, is the fact that exoticism should be presented in the plural and be shared - for it is something that cuts both ways.


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