Hörspiele: ... doch nicht für immer" _____ Projekt - Tagebuchauszüge Riga - Heimat - Hörproben - Dokumente - Mitwirkende

RIGA, AUGUST 2011

... Riga feiert. Das jährliche Stadtfest im größten der vielen Parks nahe der Altstadt ist ein großes Fest für alle. In vielen kleinen Hütten werden traditionelle Waren angeboten, eine Straße ist Buch- und Verlagsständen vorbehalten, aber vor allem gibt es viel Musik. Die Letten sind ja ein Volk der Sänger, und hier kann man unter freiem Himmel und ohne Eintritt auf zahlreichen Bühnen ständig Konzerte hören, von traditionell bis modern.

Man erinnert aber auch noch an die Ereignisse vor 20 Jahren, als Michail Gorbatschow und die damals de facto noch existierende Sowjetunion nicht mehr anders konnten, als die Unabhängigkeit Lettlands offiziell anzuerkennen. Im Frühjahr dieses Jahres 1991 hatte sowjetische Spezialeinheiten ja noch das Innenministerium besetzt, es kam zu Auseinandersetzungen, Schießereien und Todesopfern. Ein Jahr zuvor hatte Gorbatschow den Friedensnobelpreis bekommen. Als ich damals Riga besuchte, sah selbst noch die Barrikaden, die zum Schutz der Altstadt errichtet worden waren.

Seit meiner Kindheit hatte ich Riga immer als diese diffuse Traumstadt im Kopf, geprägt von den Erzählungen, und den vielen Schwarz-Weiß Fotos, die ein verschwommenes Bild vermittelten, ungreifbar, fern und exotisch. Als ich das erste Mal dort war, entsprach vieles diesen Bildern. Das Sowjet-Grau hatte sich auch über Riga gelegt.

Das war 1987, und ich war eingeladen, an einer 24-Stunden-Performance teilzunehmen, in den Ruinen der ehemaligen japanischen Botschaft, die seit 1945 unberührt geblieben war. Die Künstlergruppe hatte den überaus poetischen Namen "Nebijušu Sajūtu Restaurēšanas Darbnīca", die "Werkstatt zur Wiederherstellung nie dagewesener Gefühle". Und ich war auch noch Mitglied der Rigaer New Wave Band "19 gadi pirms sakuma", "19 Jahre vor dem Beginn".

Man konnte damals leicht die typische Architektur Rigas übersehen, die sich auch heute nur selten in renoviertem Glanz darstellt. Zwar ist Riga vor allem für seine Altstadt berühmt, die einen in die Hansezeit zurückführt. Überwältigend sind aber die Jugendstil und Art Deco Bauten der sogenannten Neustadt, über 800 Gebäude bilden das bei weitem größte Ensemble dieser Art, nicht umsonst Teil des UNESCO-Welterbes. Die Grautöne sind inzwischen nicht mehr dominierend, Riga ist wieder wie in den 1930er Jahren zur lebendigen Metropole geworden.

Dennoch: wenn die Straßenbahnen in der Kurve ihre Geschwindigkeit verlangsamen müssen, weil die Schienen aus dem Pflaster springen; oder wenn ich unter der Laima-Uhr stehe, der Glücksuhr, benannt nach der alten Rigaer Schokoladenfabrik, schon in der Jugend meiner Mutter der klassische Treffpunkt; und wenn ich direkt daneben wieder Beispiele der manchmal gnadenlosen Anpassung an die westliche Konsumwelt sehe, die aus den mittelalterlichen Häusern einträgliche Kneipen gemacht hat; dann beschleicht mich immer wieder ein Gefühl der Melancholie.